Biographisches Lernen und Lernen an Wendepunkten

In einer biographischen Perspektive findet Lernen lebenslang statt. Die Idee des biographischen Lernens setzt voraus, dass Lernen nicht auf formale Kontexte beschränkt ist. Gelernt wird in unterschiedlichen Settings. In der Lerntheorie wird hier unterschieden zwischen formalen (Institutionen wie Kindergarten, Schule Universitäten mit Curricula und Abschlüssen), non-formalen (strukturiert, aber außerhalb des offiziellen Bildungssystems: Workshops, politische Bildung etc.) und informellen (persönliches Lernen, Hobbies, alltägliche Lernprozesse) Bildungskontexten. Die OECD hat erst relativ spät die gleichwertige Bedeutung von non-formalen und informellen Lernkontexten anerkannt.

Die Menschen bilden sich immer weiter, die Kontexte unterscheiden sich. Donna Haraway hat dafür den Begriff des „situated knowledge“ geprägt. Das bedeutet, das Lernen und das Wissen, welches beim Lernen angeeignet wird, immer in konkreten Situationen stattfindet. Diese Situationen befinden sich im ständigen Wechsel, so dass situativ permanent neu gelernt wird. In Haraways Ansatz gibt es keine Hierarchie des erworbenen Wissens. Im Austausch von Wissen können alle von allen immer lernen.

Lebenslanges Lernen ist ein Konzept, welches sich vorrangig auf formale Kontexte bezieht (Weiterbildung im Beruf, in Volkshochschulen etc.). Lebenslanges Lernen ist also von biographischem Lernen zu unterscheiden. Biographisches Lernen bedeutet zum einen die lebenslange Aneignung von Wissen eines jeden Menschen, zum anderen meint biographisches Lernen den Einsatz konkreter Methoden der Biographiearbeit oder der biographischen Forschung.Die Beziehung zwischen Individuum und Umwelt befindet sich in einem ständigen Resonanzverhältnis (Alheit 2022). In diesen Resonanzraum fließen die individuellen biographischen Erfahrungen ein und verbinden sich mit neuen Erfahrungen. Die biographischen Ressourcen können in Lernprozessen aktiv aufgerufen und genutzt werden, z.B. für die Entwicklung individueller Förder- und/oder Unterstützungsstrategien.

Im Abruf von aktuellem Wissen in Lernkontexten bleiben die biographischen Erfahrungen und Ressourcen oft verborgen. Zudem ist es nicht einfach, Lernprozesse überhaupt zu beschreiben und zu identifizieren, weil sie oft im Verborgenen ablaufen und Effekte nicht direkt an Situationen gekoppelt werden können, sondern erst viel später in anderen Situationen sichtbar werden.

Biographiearbeit ist in Deutschland seit den 1970er Bildungsreformen ein Bestandteil in der Kinder- und Jugendhilfe. In der Ausbildung der Sozialen Arbeit und dementsprechend in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit hat die Biographiearbeit einen hohen Stellenwert. Ihre Ursprünge liegen bereits in den 1920er Jahren bzw. seit der Erfindung der Psychoanalyse und psychotherapeutischer Arbeit um die Jahrhundertwende (19./20.Jh.). In diesen Kontexten wird biografisches Arbeiten als Schlüssel zu verborgenen psychischen Strukturen der Menschen gesehen und die Aufdeckung als Zugang zu Heilung und Verbesserung der Lebensqualität. Die pädagogische Aneignung des biographischen Arbeitens verfolgt das Ziel, Menschen in Hilfe- und Lernkontexten optimale Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Dabei kann retrospektives Arbeiten Wege in eine andere Zukunft weisen.

Methoden der Biographiearbeit
Wenn ihr im Jugendamt ein Praktikum machen würdet, kämt ihr sehr bald mit der Methode der Genogrammarbeit in Berührung. Diese biographische Methode wird im Studium der Sozialen Arbeit sehr intensiv gelernt.
Ein Genogramm ist eine grafische Darstellung, in welcher die Beziehungen und Interaktionen von Familienmitgliedern über mehrere Generationen hinweg rekonstruiert werden. Es ähnelt einem Stammbaum, enthält jedoch Details über die Beziehungen zwischen den Personen. Genogramme werden häufig in der Familientherapie und in der Beratung verwendet, um Muster von Verhalten, psychologischen Merkmalen und medizinischen Vorgeschichten zu erkennen. Genogramme zeigen nicht nur, wer mit wem verwandt ist, sondern auch wie diese Personen miteinander interagieren. Zum Beispiel können sie enge Beziehungen, entfremdete Beziehungen, Konflikte und andere Dynamiken darstellen. Genogramme können dazu verwendet werden, wiederkehrende Muster von Verhalten, Berufen, Bildungsniveaus und anderen sozialen oder psychologischen Merkmalen in einer Familie zu identifizieren. Ein Genogramm kann Informationen über drei oder mehr Generationen einer Familie enthalten, auf diese Weise können Familienmuster erkannt werden. Genogramme verwenden eine Vielzahl von Symbolen, um Geschlecht, Beziehungsstatus, emotionale Beziehungen und andere Aspekte der Familienstruktur darzustellen. Deswegen muss diese Methode auch gelernt und geübt werden, obwohl heute eine Vielzahl von Programmen online zur Verfügung stehen.

lhttps://gitmind.com/de/genogramm-maker.html

Weitere Methoden der Biographiearbeit sind künstlerische Zugänge (Arbeiten mit Farbe oder Ton), Rollenspiele, Aufstellungen, die Arbeit mit Objekten, Lebenslinien, Storytelling. Dabei können Teilbiographien in den Fokus genommen werden, z.B. die Bildungsbiographie, die Spielbiographie, die politische Biographie.
Auch in qualitativen Forschungsmethoden finden wir biographische Ansätze. Dazu gehören das z.B. das biografisch-narrative Interview, die partizipative Langzeitbeobachtung, die Aktionsforschung und Lebensgeschichten.

Beispiel: Lernen an Wendepunkten

Eine Studierende schreibt zum Thema “Lernen an Wendepunkten”:

„Beim Reflektieren der ersten Aufgabe ist mir aufgefallen, dass ich besonders positive Lernerfahrungen gemacht habe, wenn ich mich bewusst mit Themen auseinander gesetzt habe, die mich persönlich interessieren.“

Als Pädagog*innen ist es für uns bedeutsam, komfortable Lernumgebungen zu schaffen. Damit ist gemeint, dass angstfrei und in respektvoller Atmosphäre sowie in individuumsgerechten Interaktionen gelernt werden kann.

Die Bezeichnung „komfortables Lernen“ wird in Diversity- und Antidiskriminierungstrainings und in Lerntheorien benutzt, um Lernerfahrungen zu beschreiben, die keine besondere emotionale Herausforderung darstellen. Gemeint sind damit Lernsituationen, in denen wir leicht an unser bestehendes Wissen anknüpfen können und neue Informationen darin gut integrieren können (Czollek/Weinbach 2018). In diesen Situationen erweitern wir auf jeden Fall unser Wissen, nicht immer unsere Perspektiven. Perspektivenerweiterung geschieht häufig beim Lernen an Wendepunkten. Wenn Menschen etwas Neues, ganz und gar Unvertrautes und Herausforderndes kennen lernen, das sie nicht leicht in ihre bestehenden Wissensmuster zu integrieren vermögen, können sie sich zuweilen an Wendepunkten bewegen (Czollek/Weinbach 20218).

An Wendepunkten verändert sich oft das Bewusstsein, Perspektiven werden gewechselt und erweitert, möglicherweise neue Denkstrukturen gelegt. Woran erkennen wir selbst, dass wir uns einem Wendepunkt befinden? Die Begegnung mit unvertrauten, ganz neuen, uns befremdenden Denkstrukturen kann sich in Wut und Ärger zeigen, weil das komfortable eigene Denksystem bedroht erscheint („Ich dachte, ich weiß darüber Bescheid, aber nun sagt mir jemand was ganz Anderes dazu.“). Es können aber auch Ängste und Unsicherheit ausgelöst werden („Ich weiß jetzt gar nicht mehr, was ich dazu denken soll.“) oder Irritation und Verwirrung („Das sind so viele verschiedene Sichtweisen, was ist denn richtig?“) oder eine defensive Haltung („Was diese Dozentin sagt, glaube ich sowieso nicht.“). Lernen an Wendepunkten kann sich auch darin zeigen, dass Menschen Langeweile empfinden oder sich von Inhalten ablenken. Überraschung und freudiges Erstaunen sind ebenfalls mögliche Reaktionen, die darauf hinweisen können, das gerade ein Wendepunkt beim Lernen stattfindet.

Alle diese Gefühle sind bedeutsam und wichtig. Sie begleiten die Möglichkeit zu lernen und Gefühle beim Lernen können zeigen, dass eventuell sichere Denkstrukturen erschüttert werden. Wenn wir über unsere Wendepunkte beim Lernen nachdenken, so sind diese nicht immer leicht zu lokalisieren, weil viele Gespräche, Literatur, Erfahrungen zum Umdenken und Andersdenken beitragen, aber manchmal können wir uns besonders gut an Wendepunkte erinnern. Möglicherweise passieren soeben in dieser Zeit einer fast überstandenen Pandemie, einer Kriegssituation in Europa, einer drohenden Rezession besondere Lernprozesse und es entstehen völlig Erfahrungen und neue Perspektiven. Manchmal ist es ein Vortrag, ein Buch, ein kurzes oder langes Gespräch, ein Zeitungsartikel, eine Hausarbeit, ein Film oder eine sehr persönliche Erfahrung, die einen Wendepunkt und eine neue Sicht auf ein Thema provoziert.

Wenn es gelingt, die neuen Perspektiven anzunehmen, zu verarbeiten und die Herausforderungen anzunehmen, entstehen oft tiefe Lernerfahrungen. Menschen können sich auch bewusst Wendepunkten aussetzen, sie gewissermaßen konstruieren, wenn sie merken, dass sie festgefahren sind, wie ein Jugendlicher hier beschreibt.

Graphiknachweis: Armour, Philipp Glen (2006): The Learning Edge

Wenn Lernende sich in der Kompetenz- und somit Flowzone (Competency Zone) des Lernens befinden, sind sie offen für Wendepunkte. Wie solche Lernerfahrungen in Bildungssettings ermöglicht werden können, damit beschäftigt sich sowohl die Lerntheorie, die Philosophie des Lernens als auch die Didaktik. Im nächsten Blogbeitrag werde ich dieses Thema aufgreifen.

Anregung für einen Kommentar

Reflektiere Wendepunkte in Lernprozessen in deiner Biographie. Welche Gefühle hattest du? Wie bist du mit der Situation umgegangen? Wie kannst du bewusst Lernprozesse herbeiführen, in denen du deine Perspektiven erweiterst und Neues zulassen kannst? Beschreibe ein Buch oder einen Text, die einen Perspektivenwechsel bei dir bewirkt haben.

8 thoughts on “Biographisches Lernen und Lernen an Wendepunkten

  1. Seit unserer Geburt sind wir kontinuierlich darauf ausgerichtet, uns weiterzuentwickeln und Lernprozesse zu durchlaufen, die wiederum die Grundlage für weitere Lernprozesse schaffen. Dieser Kreislauf setzt sich fort und prägt unser gesamtes Leben. Wie bereits im Blogbeitrag verdeutlicht wurde, lernen wir aus einer biografischen Perspektive lebenslang. Der Ansatz des biografischen Lernens geht davon aus, dass Lernen nicht auf formale Bildungskontexte beschränkt ist. Vielmehr findet es in einer Vielzahl von Umgebungen statt. In der Lerntheorie wird dabei zwischen formalen, non-formalen und informellen Bildungsprozessen unterschieden.
    Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Individuen sich kontinuierlich weiterentwickeln und die Kontexte, in denen Lernen stattfindet, variieren. Täglich erwerben wir neue Kenntnisse und Fähigkeiten, sowohl auf bewusste als auch auf unbewusste Weise. Dieser Lernprozess prägt unsere Individualität und Erfahrungen, die unser zukünftiges Handeln beeinflussen. Besonders entscheidend sind Wendepunkte im Leben, die signifikante Veränderungen in unserer Entwicklung bewirken und uns auf neue Weise formen.
    Ein zentraler Aspekt dieser Entwicklung ist die Selbstreflexion und definiert das Nachdenken über sich selbst wie auch das eigene Denken (vgl. Richter, 2017, S.14). Diese methodische Herangehensweise ermöglicht es, aus den erworbenen Erkenntnissen bedeutende Schlussfolgerungen zu ziehen, die das fortlaufende Lernen unterstützen. Selbstreflexion bietet die Gelegenheit, Einsichten zu gewinnen und neue konzeptionelle Ansätze zu entwickeln. Im Mittelpunkt steht nun nicht allein die individuelle Lebensgeschichte, sondern auch die vielfältigen Einflüsse, die das Miteinander mit anderen und das Verhältnis zu sich selbst geformt haben. Es geht darum, ein tieferes Verständnis für die Beweggründe und Hintergründe des eigenen Verhaltens zu entwickeln (Richter, 2017, S.14). Letztlich zielt dieser Prozess darauf ab, eine stetige persönliche Weiterentwicklung zu erreichen. Das bewusste Nachdenken, das mit der Selbstreflexion einhergeht, bildet die Grundlage für eine verbesserte Wahrnehmung der eigenen Existenz und schafft Raum für persönliche Entfaltung.
    Die Relevanz der Biografiearbeit wird jetzt umso klarer, da sie es ermöglicht, den Lebensweg gezielt zu reflektieren und wiederkehrende Muster oder prägende Ereignisse zu erkennen. Indem man die Vergangenheit betrachtet, lassen sich wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die nicht nur dabei helfen, das Hier und Jetzt besser zu verstehen, sondern auch das eigene Leben bewusster zu gestalten und persönliche Ziele klarer zu verfolgen (Geppert, 2015, S.30). Zur erfolgreichen Bewältigung des Alltags ist es essenziell, das Leben in seiner Gesamtheit zu reflektieren, gegenwärtige Herausforderungen zu identifizieren und sich aktiv mit diesen auseinanderzusetzen (Geppert, 2015, S.30). Die Methode der Biografiearbeit ermöglicht es, eine reflektierte Lebensbegleitung für die Gegenwart zu entwickeln, die es Individuen erlaubt, ihr aktuelles Erleben bewusster wahrzunehmen und kognitiv zu verarbeiten. Dadurch werden nicht nur primär wahrgenommene negative Erfahrungen, sondern auch positive Ereignisse und bislang unbeachtete Unterstützungsmöglichkeiten erkennbar (vgl. Geppert, 2015, S.30).
    Wenn ich über einen Wendepunkt in meinem Lernprozess nachdenke, fällt mir besonders die erste Begegnung mit einem Kind ein, das besondere Unterstützungsbedarfe hatte und eine anerkannte Diagnose erhielt, die eine 1:1 Betreuung erforderte. Die Hartnäckigkeit der Eltern, die Empfehlung abzulehnen, erschütterte mich, da sie die Diagnose als Beleidigung und Schwäche auffassten und daher Hilfsangebote oft ablehnten. Diese Erfahrung prägte mich tief, da ich im theoretischen Teil meines Studiums zahlreiche Behandlungsmöglichkeiten und Weiterbildungsangebote für Eltern sowie verschiedene Therapieansätze kennengelernt hatte. Ich war von den unterschiedlichen Lösungsansätzen fasziniert, hätte jedoch nie gedacht, dass diese Optionen in der Praxis so häufig ignoriert werden, weil die Herausforderungen, vor denen das Kind steht, nicht richtig wahrgenommen oder akzeptiert werden. In solchen Momenten beginnt man als angehende pädagogische Fachkraft, viele Dinge zu hinterfragen, auch die eigene Kompetenz. Es fiel mir schwer zu verstehen, dass Eltern, trotz zahlreicher Gespräche und einer offiziellen Diagnose, glauben könnten, besser Bescheid zu wissen als qualifiziertes Fachpersonal. Anfangs dachte ich, dass mein Wendepunkt die Erkenntnis war, dass man nicht jedem helfen kann, selbst wenn man dies von Herzen möchte, und dass nicht alle Situationen oder Umstände beeinflussbar sind. Zunächst fiel es mir schwer, aus dieser herausfordernden und scheinbar sinnlosen Situation zu lernen. Ich war unsicher, wie man aus einer solch belastenden Erfahrung etwas Positives ziehen könnte. Doch als ich begann, die Gesamtheit der Umstände zu reflektieren, wurde mir klar, dass die Ignoranz der Eltern möglicherweise auf ihrem tiefen Wunsch beruht, ein gesundes Kind zu bekommen. Immerhin entsteht dieser Wunsch schon vor der Schwangerschaft, ein gesundes Kind zu bekommen und ist daher auch bereit den eigenen Lebensstil umzukrempeln. Somit stellen die notwendigen Vorbereitungen-wie das Anpassen des Lebensstils, das Aufgeben gewohnter Verhaltensweisen und die Fokussierung auf eine gesunde Ernährung, bereits eine erhebliche Herausforderung dar. Umso schmerzhafter ist es, wenn man dann erfährt, dass das Kind nicht gesund ist, wie man es sich erhofft hatte. Diese Ignoranz könnte auch als eine Form der Verdrängung betrachtet werden, bei der die Eltern ihr Kind nicht als „krank genug“ empfinden, um eine umfassende Behandlung in Anspruch zu nehmen. Stattdessen scheinen sie ihrer eigenen idealisierten Realität nachzujagen und sind fest davon überzeugt, dass ihr Kind weitgehend gesund ist. Erst als ich mich wirklich in die Lage der Familie hineinversetzte, konnte ich nachvollziehen, warum sie die Ansätze der Ärzte und Fachkräfte nicht immer verstehen konnten– sie jagten einem Ideal nach, das für sie unerreichbar schien. Nachdem ich meine Tätigkeit dort beendet hatte, verlor ich den Kontakt zur Familie und weiß daher nicht, wie sie mit der Situation umgegangen sind oder wie die Fachkräfte reagiert haben.
    Dennoch habe ich aus dieser Erfahrung wertvolle Einsichten gewonnen: Jeder Mensch geht in seinem eigenen Tempo mit Schwierigkeiten um. Die Zeit, die jemand benötigt, um sich nach einem Rückschlag neu zu orientieren oder einen Neuanfang zu wagen, ist individuell und unterschiedlich. Auch wenn die Situation anfangs keinen Sinn zu ergeben schien, wurde mir bewusst, dass das Tempo der Familie ein wesentlicher Bestandteil ihres Verarbeitungsprozesses ist. Verdrängung kann ein notwendiger Schritt sein, um letztendlich die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es liegt nun an der Familie, die Gesamtheit der Situation zu reflektieren, ihre Herausforderungen zu identifizieren und aus diesen Erfahrungen zu lernen, um einen Neuanfang zu wagen. Mir wurde also klar, dass Akzeptanz Zeit braucht und dass auch Verdrängung Teil dieses Prozesses sein kann. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass nicht jede Hilfe sofort angenommen wird und dass Menschen unterschiedlich lange brauchen, um sich auf neue Wege einzulassen. Seitdem hinterfrage ich meine Erwartungen an Eltern in solchen Situationen. Es ist nicht immer eine Frage der Einsicht oder Vernunft, sondern oft auch eine emotionale Hürde, die zuerst überwunden werden muss. Diese Erkenntnis hat mich gelehrt, geduldiger zu sein und Eltern dort abzuholen, wo sie stehen, statt direkt auf eine Lösung zu drängen.
    Man kann daher schon sagen, dass die Methode der Reflexion als ganzheitlicher Prozess angesehen werden kann, um Perspektiven zu erweitern und daraus zu lernen. Der Reflexionsprozess beginnt oft mit einem Moment der Irritation, der häufig durch Anstöße aus der Begleitung im Lernprozess entsteht. Vertiefte Reflexion erfordert dabei ein strukturiertes und intensives Auseinandersetzen mit verschiedenen Faktoren, um eine subjektive Wahrnehmung einer komplexen Situation zu erweitern, eigene Deutungen zu hinterfragen und wie oben beschrieben, auch neue Handlungswege zu entwickeln. Besonders wichtig ist es dabei erst Raum für Reflexion zu schaffen, denn gerade in herausfordernden Situationen, wie in meinem Beispiel aufgezeigt wurde, kann dieser Prozess wertvolle Orientierung geben (vgl. Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg, 2018, S. 10). Somit besteht der erste Schritt darin, eine Situation unvoreingenommen wahrzunehmen, bevor eine Bewertung stattfindet. Das wahre Verständnis wird dadurch gefördert, dass die Besonderheiten der Situation erfasst und analytisch durchdrungen werden können (vgl. Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg, 2018, S. 12). Durch diesen tiefen Denkprozess können Lernende nicht nur zu einem besseren Verständnis gelangen, sondern auch zu stabileren Erkenntnissen, die ihre professionelle Entwicklung unterstützen. So wird Reflexion zu einem entscheidenden Element, um aus Erfahrungen zu lernen und das eigene Handeln zu verbessern (vgl. Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg, 2018, S. 12).
    Die Situation der Familie verdeutlicht eindrucksvoll, wie bedeutend Reflexion in schwierigen Lebenslagen ist. Zudem kann der Mut zur Metareflexion von großem Wert sein, um zu erkennen, dass die Fachkräfte letztlich keine schlechten Absichten hegen, sondern vielmehr Hilfe anbieten möchten. Immerhin umfasst Metareflexion die Fähigkeit, das eigene Denken und Wissen kritisch zu hinterfragen, um dadurch auch verschiedene Perspektiven einnehmen und wertschätzen zu können (vgl. Cramer et al., 2019, S. 402).
    Durch den Reflexionsprozess haben die Eltern die Chance, ihre Überzeugungen zu hinterfragen und neue Perspektiven zu entwickeln, die ihnen helfen, die Realität ihrer Situation klarer zu erkennen. Gleichzeitig hat mir die Reflexion geholfen, mich von meinen rein emotionalen Reaktionen und meinem bisherigen Wissen zu lösen und eine neue, objektivere Denkweise zu entwickeln.

    Habt ihr auch solche Wendepunkte erlebt, die eure Sichtweise in der Arbeit mit anderen geprägt haben? Wie geht ihr mit Situationen um, in denen eure Hilfsangebote nicht angenommen werden?

    Literatur

    Cramer, C.; Harant, M.; Merk, S.; Drahmann, M.; Emmerich, M. (2019). Meta-Reflexivität und Professionalität im Lehrerinnnen- und Lehrerberuf. S. 401-423. DOI: 10.25656/01:23949.
    Geppert, F. (2015). Biografiearbeit als methodischer Ansatz in der Sozialen Arbeit.
    Verfügbar unter: http://www.socialnet.de/materialien/26582.php. Abgerufen am 25.11.2024.

    Landesinstitut für Lehrbildung und Schulentwicklung Hamburg (Hrsg). (2018). Verfügbar unter: https://edoc.sub.uni-hamburg.de//hlb/volltexte/2018/198/pdf/handreichung_reflexionskompetenz.pdf.Abgerufen am 27.11.2014.

    Richter, K. (2017) Selbstreflexion und Inklusion – am Beispiel von Kindern mit Behinderung in der Kita. Verfügbar unter: https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/KiTaFT_Richter_2017_SelbstreflexionundInklusion.pdf. Abgerufen am 27.11.2024.

  2. Der Begriff des Lebenslangen Lernens ist einer, der zumindest mir eher und viel früher begegnet ist als biographisches Lernen. Dazu kommt, dass Lebenslanges Lernen für mich immer formales, non-formales und informelles Lernen betrachtet hat. In gewisser Weise ist dies ein kleiner Wendepunkt, an dem ich mit dieser neuen Information klarkommen muss und diese Herausforderung der Mini- Erschütterung meines Denksystems meistern muss. Jetzt ruft dies keinen allzu großen Ärger, jedoch ein kleines Anzeichen der Verwirrung hervor, das etwas immer so gekanntes auf einmal anders ist, und das nicht nur wegen der Meinung einer anderen Person, was einfach abzuschreiben ist, sondern ein existierendes Forschungsfeld was lebenslanges Lernen und biographisches Lernen und Lernen im allgemeinen mit verschiedenen Lerntheorien angeht. So kann ich rückblickend auf meine eigene Lernbiographie feststellen, dass ich immer wenn ich starke Wendepunkte hatte, sehr damit zu kämpfen hatte, weil ich mich sehr tief in die Kontroversen oder inneren Zustände der Verwirrung und Unsicherheit begeben habe, um eine Lösung zum inneren Konflikt zu finden oder ich mit Ablenkung versucht habe es weg zu ignorieren. So kann ich sagen, dass meine Erfahrung mit Wendepunkten und herausfordernden Informationen teils positiv, teils negativ waren, beide Ergebnisse sind mir selbst zu verdanken. Viele der herausfordernden Gedanken kamen durch Unterricht, wo man üblicherweise Neues lernt. Sei es in der Schule, da meist in der Oberstufe oder jetzt im Studium. Es waren eher weniger Bücher in der Schule oder Hochschule, welche meine Gedankenwelt herausgefordert haben. Auch wenn das passiert ist, war es oft ein meist problemloses dazu nähen von Informationen und Wissen. Was mich meistens herausgefordert hat, waren Vorlesungen und Seminare, in denen man aktiv im Unterricht dazu angehalten wird, zu reflektieren oder mit gerade erworbenen Informationen sein eigenes Denkmuster zu konfrontieren. Dann bildeten sich oftmals Gefühle des Unmuts, der Unsicherheit, der Frustration wegen des ungelösten inneren Konflikts. Da sich dies oft nicht in der Unterrichtsstunde lösen ließ, wurde es zu Gefühlen, die mich auch in meinem persönlichen Leben begleiteten, sobald ich mir die Zeit nahm, mich damit zu beschäftigen. Letztendlich habe ich diese Herausforderungen doch eher in den meisten Fällen positiv überstanden und bin zu einem Kompromiss gekommen, der mit inneren und äußeren Informationen etwas logisches anfangen konnte. Dafür ist Selbstreflexion wichtig, das heißt das Auseinandersetzen mit sich selbst und einem bestimmten Thema (Tißberger, 2017, S. 86). Ich würde auch gerne einen schnellen Blick in die Zukunft werfen, was Lernen, lebenslanges Lernen und biografisches Lernen angeht. So kann ich auch, wenn ich älter werde, weiterhin lernen, mir Wissen aneignen und Fähigkeiten weiter optimieren , um damit Schwächen in anderen Bereichen auszugleichen (Loos, 2017, S. 6). Auch was informelles Lernen angeht, was eher unstrukturiert und spontan ist, wobei ich als Lerner eine aktive Rolle im gestalten einnehme habe ich für meine Zukunft die Möglichkeit mich weiterzubilden außerhalb von Weiterbildungstagungen auf der Arbeit welche Pflichtveranstaltungen sind (Loos, 2017, S.8f.).

    Literatur:

    Loos, J. (2017). Lebenslanges Lernen im demografischen Wandel (1. Aufl.). Springer Fachmedien.
    https://doi.org/10.1007/978-3-658-17171-1

    Tißberger, M. (2017). Critical Whiteness: Zur Psychologie hegemonialer Selbstreflexion an der Intersektion von Rassismus und Gender (1. Aufl.). Springer Fachmedien.
    https://doi.org/10.1007/978-3-658-17223-7

  3. Philosophie des Lernens: Blogeintrag
    Thema: Biographisches Lernen und Lernen an Wendepunkten
    Der Blogeintrag beschreibt die unterschiedlichen Wege neue Informationen und persönliche Erfahrungen zu lernen. Bei dem biographischen Lernen geht es in erster Linie um die eigene Biografie. Wie viele Erfahrungen und Informationen habe ich in meinem eigenen Leben gesammelt?
    Ich glaube diese Frage kann sich auf viele Bereiche beziehen. Meiner Meinung nach lernen wir in jeder Situation. Auch wenn es oftmals gar nicht bewusst ist. In jedem Gespräch und jedem Gedanken, die wir haben denken wir über etwas nach was uns selbst beschäftigt. Durch das eigene Interesse kann jedes Individuum informell lernen. In dem Blogeintrag „Biographisches Lernen und Lernen an Wendepunkten welcher am 8.10.2024 veröffentlicht wurde, wird dies ebenfalls verdeutlicht. Der Blogeintrag bezieht sich auf die biographische Perspektive, welche sich auf das Lebenslange Lernen bezieht. Hierzu ist es wichtig sich nicht nur auf die formalen Kontexte zu beziehen, bei dem jedes Individuum lernt, sondern auch das Lernen durch eigene Workshops und die persönlichen Interessen. Ebenfalls denke ich an die kindliche Entwicklung und das persönliche Interesse. Neben den Bildungssystemen ist es enorm wichtig, Kinder und Jugendliche in ihren eigenen Interessen zu fördern. Hierdurch können sich Kinder und Jugendliche in jedem Prozess für sich selbst weiterentwickeln. Dadurch kann das persönliche Lernen gefördert werden und neue Erfahrungen werden gesammelt. Hierzu haben Studien bewiesen, dass Kinder im frühen Vorschulalter individuelle Interessen besitzen (vgl. Lichtblau, 2018, S.9). Für die Entwicklung von Kindern spielen die Interessen einen wichtigen Aspekt, wodurch eine Kinder- Umwelt- Interaktion entsteht. Interessen können sich neben einem positiven Effekt auf Lernstrategien ebenfalls auf die Aufmerksamkeit und die kognitiven Leistungen von Kindern ausüben (vgl. Lichtblau, 2018, S. 9).
    Trotzdem findet das Lernen bei jedem Menschen statt abgesehen von den eigenen Interessen. Neben dem biographischen Lernen bezieht sich das Lebenslange Lernen auf die formalen Kontexte. Das Konzept beschränkt sich hierbei auf das Lernen in Bezug auf die Weiterbildung im Beruf oder anderen Bildungsmöglichkeiten wie zum Beispiel Volkshochschulen. Das Lebenslange Lernen bezieht sich auf das organisierte Aneignen von Wissen. Oftmals wird das Lernen direkt in Bezug auf die Bildungssysteme beschränkt. Natürlich lernen wir in der Kita und in den Schulen. Doch trotzdem lernen wir Menschen in vielen weiteren Situationen. Ab der Geburt beginnen wir das Lernen. Welche Personen geben uns ein schönes Gefühl? Was passiert, wenn ich weine? Alle diese Fragen lernen wir durch unsere eigenen persönlichen Erfahrungen (vgl. Schuhen; Kunde, 2016, S. 459). Das Biographische Lernen bietet eine große Spannweite neben dem formellen oder dem non- formellen lernen.

    Der Blogeintrag befasst sich mit den Methoden in der Biographiearbeit, welche ich persönlich sehr spannend und interessant finde. Hierbei bezieht sich der Text auf eine bestimmte Methode, die bei Kindern und Jugendlichen oftmals eingesetzt wird. Der Blogeintrag befasst sich mit der Methode der Genogramm Arbeit, bei der eine grafische Darstellung über die Beziehungen und Interaktionen von Familienmitgliedern über mehrere Generationen dargestellt werden. Durch die Darstellung der eigenen Familiensituation wird deutlich welches soziale Verhalten und Beziehungen bestehen. Das Genogramm bietet durch den Aufbau eines Stammbaums eine strukturierte Übersicht, welche bei komplexen Familiensystemen oftmals hilft. Es bietet eine mögliche Grundstruktur um sich mit den einzelnen Familienmitgliedern und der Herkunft bewusst auseinander zu setzten (vgl. Frölich, lebensmutig.de).

    Im Laufe meines Studiums ist mir bewusst geworden, wie wichtig es ist sich mit der eigenen Biografie auseinanderzusetzten und Selbstreflexionsprozesse durchzuführen. Dadurch habe ich gemerkt in welcher Waage die Selbstreflexion und das professionelle Denken und Handeln steht. Neben der eigenen Auseinandersetzung mit sich selbst können unterschiedliche Methoden das Denken in den Reflexionsprozessen erweitern, bei denen es sich um Dilemma Situationen handelt, welche eine neue Perspektive brauchen (vgl. Rothe; Betz, 2018, S. 295). Zudem kann ich aus eigenen persönlichen Erfahrungen ergänzen, dass eine Methode der Selbstreflexion ebenfalls ein Lernprozess ist. In der Vergangenheit habe ich in einem Modul der Traumapädagogik die Methode der „Zeitstrahl in Farben“ durchgeführt. Beidem wird einem deutlich, welche positiven und auch negativen Ereignisse vorkamen. Trotzdem ist die Methode individuell zu gestalten. Durch die unterschiedlichen Farben können die eigenen Emotionen und Gedanken gekennzeichnet werden. Hierbei können die Reflexionsfragen für einen selbst viele Gedanken und Erfahrungen zeigen. Durch die Darstellung des eigenen Zeitstrahl wurde mir deutlich wie viel jeder Mensch bereits in seinem Leben erlebt und durchlebt hat. Zudem hat es mich in der Arbeit mit Kindern gestärkt die Individualität und die Bedürfnisse jedes Kindes zu beachten. Das Ziel der Biographiearbeit ist eigene vergangene Erfahrungen zu reflektieren und neue Strategien zu entwickeln.
    Neue Perspektiven zu entwickeln, bezieht sich auf das Lernen an Wendepunkten. Durch das Erlernen von neuen Themenfeldern ergeben sich neue Wendepunkte, bei dem sich unsere Perspektiven erweitern.
    Einer meiner größten Wendepunkte in meinem Leben war der Verlust eines geliebten Menschen. Hierbei hatte ich viele Gefühle der Trauer aber auch der Unsicherheit. Ich habe mir oft die Frage gestellt, wie ich nun ohne diesen einen Menschen leben kann und wie die Zukunft wird. Ebenfalls war der Schock von heute auf morgen sehr belastend. Der Wendepunkt in meinem Leben war hierbei wie schnell alles anders sein kann und jeder Tag und jede Begegnung wichtig und bedeutend ist. Der Verlust ist ein trauriges, aber auch wichtiges Thema, welches mir gezeigt hat, wie wichtig es ist sich damit auseinander zu setzten. Oftmals habe ich mir selbst viele verschiedene Fragen gestellt und mich selbst weitergebildet durch verschiedene Ansichten von Gesprächen durch Mitmenschen. Ich konnte dadurch meine eigenen Gefühle aber auch Perspektiven erweitern und neues dazulernen.

    Frölich, M. (2024, Februar 1). Das Genogramm in der Biografie-Arbeit. LebensMutig Biografiearbeit, Lehrgänge, Seminare, Trainer-Netzwerk. https://www.lebensmutig.de/das-genogramm-in-der-biografie-arbeit/

    Kooperation, K. T. F. I. (o. J.). von Michael Lichtblau. Kita-fachtexte.de. Abgerufen 29. Dezember 2024, von https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/KiTaFT_Lichtblau_II_2018_kindlicheInteressenbeobachtenundfoerdern.pdf

    Rohs, M. (Hrsg.). (2016). Handbuch Informelles Lernen (1. Aufl.). Springer Fachmedien.

    Rothe, A., & Betz, T. (2018). Biografische Erfahrungen und die Professionalität frühpädagogischer Fachkräfte. Theoretische und empirische Perspektiven auf ein ungeklärtes Verhältnis. Zeitschrift für Grundschulforschung, 11(2), 285–300. https://doi.org/10.1007/s42278-018-0025-1

  4. Biographisches Lernen und Lernen an Wendepunkten
    Lernen findet in der biographischen Perspektive lebenslang und in verschiedenen Kontexten statt. Laur der Lerntheorie wird zwischen drei verschiedenen Kontexten unterschieden, der formale Kontext, der non-formale Kontext und der informelle Kontext. Das Lebens eines Menschen ist darauf ausgerichtet, dass ein Mensch sich weiterentwickelt und stetig dazulernt. Doch dabei wird zwischen Lebenslangen Lernen, dass sich hauptsächlich auf formale Kontexte bezieht und biographischen Lernen, welches sowohl die lebenslange Wissensaneignung als auch die methodische Biographiearbeit umfasst, unterschieden.
    Diese Biographiearbeit ist schon seit den 1970er Jahren in der Kinder- und Jugendhilfe etabliert und trägt dazu bei, dass jedes Kind individuell gefördert werden kann. Eine bekannte Methode ist die Genogrammarbeit, eine grafische Darstellung, in der Verbindungen und Loyalitäten zwischen den Familienmitgliedern verschiedener Generationen deutlich werden. Diese wird sowohl in der sozialen Arbeit als auch in Therapien angewendet.
    Das Lernen an Wendepunkten ist uns erstmal ein abstrakter Begriff, unter dem sich viele gar nichts konkretes vorstellen können. Dabei haben wir alle solche Lernerfahrungen schonmal gemacht. Denn Lernen an Wendepunkten beschreibt Situationen, in denen alte, gewohnte Denkstrukturen von neuen, unvertrauten Ideen erschüttert werden. Häufig kommt es dabei zu Perspektivwechseln, umfangreichen Lernerfahrungen oder neuen Denkstrukturen. Im Gegensatz zu „komfortablen Lernen“, bei dem neue Lernerfahrungen ohne besonders großen Aufwand und ohne Emotionalität gesammelt werden, kommt es bei dem Lernen an Wendepunkten häufig zu emotionalen Reaktionen wie Wut, Angst oder Unsicherheiten. Es findet also üblicherweise eine Veränderung der Sichtweise statt, wenn Menschen diese Veränderungen akzeptieren und tolerieren, dann entstehen häufig enorme Lernerfahrungen aus diesen Prozessen.
    Doch wie merkt man eigentlich, dass man an so einem Wendepunkt im Leben angekommen ist?
    Ich selbst habe Wendepunkte in Lernprozessen bisher nicht bewusst wahrgenommen, da ich selbst nicht mit diesem Thema vertraut war. Jetzt, da mir bewusst geworden ist, was Wendepunkte in Lernprozessen bedeuten, fallen mir eine Menge Situationen aus meinem Leben ein, an denen ich dies selbst erfahren habe. Auch während meines Praktikums in der Grundschule habe ich einen solche Erfahrung gemacht. Da ich zu Beginn des Praktikums sehr skeptisch war, inwiefern Kinder schon in der ersten Klasse eigene IPads bekommen sollten, konnte ich bereits nach wenigen Tagen von einer Lehrkraft überzeugt werden, dass die IPads eine großartige Möglichkeit für die Kinder darboten, selbstständig zu arbeiten, kreativ zu sein und zu lernen, gewissenhaft mit solchen Geräten umzugehen. Die Lehrkraft zeigte mir, dass die Kinder wussten, wann sie ihre IPads benutzen durften und wie sie damit umzugehen hatten. Während der aktiven Erklär- oder Arbeitszeit blieben die Geräte aus, sodass die Kinder sich konzentrierten. Ich habe daraus gelernt, dass man die eigene Sichtweise auf manche Dinge manchmal ändern sollte und sich dabei auf neue Meinungen oder Ansichten einlassen sollte.
    Es ist jedoch auch möglich, solche Lernprozesse bewusst herbeizuführen. Dabei ist es besonders wichtig, dass man sein eigenes Denken und Handeln reflektiert. Man sollte sich fragen, ob es möglicherweise andere Ansichten oder Werte gibt, die man nahvollziehen kann und sich selbst die Frage stellen „Warum denke ich eigentlich so?“. Aber auch ein intellektueller Austausch bietet die Möglichkeit neue Perspektiven zu sehen und diese zu nutzen. Sich mit anderen Menschen über ein Thema zu unterhalten kann viele neue Einblicke mitbringen und eine ganz neue Sichtweise öffnen. Heutzutage bietet sich jedoch auch die Möglichkeit an, über soziale Medien neue Sichtweise zu erkennen und so neue Lernprozesse initiieren.

    Literatur:
    Saxer,U. (2015). Wendepunkte im Lebensverlauf: Biographische Perspektiven in der Erwachsenenbildung. VS Verlag für Sozialwissenschaften
    Schneider, A. (2018). Biographisches Lernen im Kontext von Übergängen und Wendepunkten. Zeitschrift für Bildungsforschung.
    >https://www.zeitschrift-fuer-bildungsforschung.de< (zuletzt eingesehen am 07.01.2025).

  5. Der erste Gedanke, wenn ich mich mit der Thematik Lernen beschäftige, sind mehrere Redewendungen wie zum Beispiel: „Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück.“, „Man lernt nie aus: Aus diesem Satz sollte man lernen.“ oder „Das Leben ist eine Schule“. Diese Aussagen haben mir verdeutlicht, dass Lernen ein stetiger Prozess ist, der uns vorantreibt. Sie erinnern mich daran, dass das Streben nach Wissen und Erfahrung ein wichtiger Bestandteil ist, um in einer sich ständig verändernden Welt erfolgreich zu sein.
    Wir erlangen durch unser stetiges Streben nach lebenslangem Lernen eine neue, spannende Art der Resilienz, die uns hilft, Herausforderungen zu meistern und in unserem Wissen zu wachsen. Diese Form der Resilienz ist nicht nur eine Fähigkeit, mit Schwierigkeiten und Stress umzugehen, sondern auch eine Chance, die uns anpassungsfähig gegenüber Veränderungen macht. Der Mensch ist dazu in der Lage, sich immer wieder anzupassen und dazuzulernen.
    Die Fähigkeit, ständig Neues zu lernen, umzulernen und auch zu verlernen, ist eine Überlebens Notwendigkeit für den Menschen. Er gestaltet sich selbst, seine Sozialbeziehungen und die Welt durch permanente Lernprozesse. Die Natur hat den Menschen mit allem ausgestattet, was er zum Lernen benötigt. Für unser Gehirn ist es ganz selbstverständlich zu lernen; es kann gar nicht anders, als zu lernen. Es ist geradezu begierig darauf, über körperliche Erfahrungen etwas zu lernen. Wir wollen uns und die Welt verstehen; dieses Verstehen ist auf Erfahrungen angewiesen, die wir über Lernprozesse machen (Schäfer, 2017).
    Indem wir kontinuierlich neue Fähigkeiten und Perspektiven entwickeln, stärken wir unser Selbstbewusstsein. Lebenslanges Lernen wird somit zu einem Schlüssel, der uns nicht nur persönlich bereichert, sondern auch unsere Fähigkeit fördert, im beruflichen und sozialen Umfeld erfolgreich zu agieren.
    Der Neurowissenschaftler Stanislas Dehaene erklärt in seinem Buch How We Learn, dass Lernerfolg auf vier Säulen beruht (vgl. Dehaene, 2020).
    Die vier Säulen des Lernens lassen sich wie folgt zusammenfassen: Zunächst ist die Aufmerksamkeitskontrolle entscheidend, da unser Gehirn bewusst entscheiden muss, welche Informationen es fokussieren soll. Ablenkung erschwert diesen Prozess und hindert uns daran, effektiv zu lernen.
    Die zweite Säule ist die aktive Beteiligung, da das Gehirn am besten lernt, wenn es aktiv an der Lösung von Problemen beteiligt ist. Dies lässt sich unter anderem durch die Förderung von Neugier, beispielsweise durch das Stellen von Fragen, erreichen.
    Die dritte Säule, die Fehlerkorrektur, betont die Bedeutung von Feedback. Fehler bieten eine wertvolle Gelegenheit zur Verbesserung, da das Gehirn durch die Korrektur von Fehlversuchen besser lernt.
    Schließlich ist die Konsolidierung wichtig, um Gelerntes langfristig abzuspeichern. Durch wiederholte Übung und Lernen in kleinen, über mehrere Tage verteilten Einheiten bleibt Wissen besser erhalten. Schlaf spielt dabei eine zentrale Rolle, da er die Erinnerung stärkt und neuronale Verbindungen festigt.
    Wenn ich nun Bezug auf meine Biographie nehme, lässt sich erkennen, dass es in meinem Leben schon eine Vielzahl an Wendepunkten gab, die mich zum Umdenken anregten und meine Perspektiven erweiterten.
    Ein Wendepunkt in meinem Leben war zum Beispiel die COVID-Pandemie. Die gesamte Pandemie stellte mich vor große Herausforderungen und Belastungen in meinem Leben. Alles Bekannte, sei es der Kontakt zu Freunden, Familie sowie zu meinen Mitmenschen, wurde massiv eingeschränkt, und man musste mit Isolation und Verlusten umgehen. Diese Herausforderungen übertrugen sich auf das ganze Leben, und der Mensch musste neu lernen, andere Handlungsstrategien zu entwickeln, wie zum Beispiel Online-Unterricht oder Einkaufen über Lieferservices. Dieser Prozess war nicht immer angenehm, oft war er begleitet von Gefühlen wie Trauer, Unsicherheit, aber auch Überraschung. Es gab Zeiten, in denen ich das Gefühl hatte, dass mein bisheriges Verständnis nicht mehr ausreichte und ich mein Denken und Handeln erweitern musste. Dies erkannte ich zum Beispiel besonders auf der Arbeit. Zu dieser Zeit habe ich in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen gearbeitet. Die Pandemie zwang uns dazu, neue Arbeitsmethoden zu finden, um weiterhin für die Menschen da zu sein, die auf unsere Unterstützung angewiesen sind. Wir mussten uns an die neuen Gegebenheiten anpassen und lernen, wie wir trotz Kontaktbeschränkungen eine wertvolle Betreuung und Unterstützung aufrechterhalten konnten. Diese Zeit zeigte mir, wie wichtig es ist, flexibel und kreativ zu bleiben, um auch in schwierigen Zeiten die Bedürfnisse anderer zu erfüllen und dabei meine eigenen Handlungsstrategien ständig zu hinterfragen und anzupassen. Im Laufe der Zeit lernte ich, dass solche Wendepunkte auch die Chance bieten, neue Perspektiven zu gewinnen und flexibler mit schwierigen Situationen umzugehen. Ich entwickelte die Fähigkeit, weiterzudenken und das, was ich zuvor als normal und selbstverständlich empfunden hatte, abzulegen, um meine Haltung zu öffnen und meine Perspektiven zu erweitern. Darüber hinaus habe ich gelernt, offener zu sein und mich der Situation anzupassen. In dieser Zeit konnte ich Resilienz zeigen und mich den Herausforderungen stellen.
    Ein Buch, welches mich besonders geprägt hat und mir eine neue Perspektive ermöglicht hat, ist der Roman Der Alchimist von Paulo Coelho. Um euch einen kleinen Einblick zu ermöglichen, möchte ich euch gerne die ersten Seiten mit einem interessanten Prolog empfehlen:
    „Der Alchimist nahm ein Buch zur Hand, das jemand, der mit der Karawane gekommen war, mitgebracht hatte. Das Buch hatte keinen Einband, dennoch konnte er den Autor ausmachen: Oscar Wilde. Beim Durchblättern fand er eine Geschichte über Narziß. Natürlich war dem Alchimisten die Sage des schönen Jünglings Narziß bekannt, der jeden Tag seine Schönheit im Spiegelbild eines Teiches bewunderte. Er war so von sich fasziniert, dass er eines Tages das Gleichgewicht verlor und ertrank. An jener Stelle wuchs am Ufer eine Blume, die den Namen Narzisse erhielt. Doch Oscar Wilde beendete seine Geschichte anders. Er erzählt, dass nach dem Tod des Jünglings Oreaden erschienen, Waldfeen, die statt eines Teichs mit süßem Wasser einen Tümpel voll salziger Tränen vorfanden.
    »Warum weinst du?«, fragten die Feen.
    »Ich trauere um Narziß«, antwortete der Teich.
    »Oh, das überrascht uns nicht, denn obwohl wir alle hinter ihm herliefen, warst du doch der einzige, der seine betörende Schönheit aus nächster Nähe betrachten konnte.«
    »War Narziß denn so schön?«, verwunderte sich der See.
    »Wer könnte das besser wissen als du?«, antworteten die Waldfeen überrascht.
    »Schließlich hat er sich täglich über dein Ufer gebeugt, um sich zu spiegeln.«
    Daraufhin schwieg der See eine Weile.
    Dann sagte er: »Zwar weine ich um Narziß, aber dass er so schön war, hatte ich nie bemerkt. Ich weine um ihn, weil sich jedes Mal, wenn er sich über meine Wasser beugte, meine eigene Schönheit in seinen Augen widerspiegelte.«
    »Was für eine schöne Geschichte«, sagte der Alchimist.”
    Der Alchimist von Paulo Coelho hat meine Perspektiven erweitert und mich zum Nachdenken angeregt. Hierbei wird die Reise des Lebens und das Streben nach den eigenen Träumen thematisiert.
    Die Geschichte der Narzisse, die in ihrer Schönheit die eigene reflektiert, zeigt mir, wie wichtig es ist, sich selbst zu erkennen und den eigenen Weg zu verstehen. In Verbindung mit der Resilienz und dem lebenslangen Lernen ermutigt mich dieses Buch, immer weiter zu wachsen und meine Perspektiven offen zu halten, besonders in schwierigen Zeiten.

    Literatur:
    Schäfer, E. (2017). Lebenslanges Lernen: Erkenntnisse und Mythen über das Lernen im Erwachsenenalter. Springer Berlin Heidelberg.

    Neue Narrative. (o. J.). Man verlernt nie aus. Neue Narrative. Abgerufen am 13. Januar 2025, von https://www.neuenarrative.de/magazin/man-verlernt-nie-aus

    Dehaene, S. (2020). How we learn: Warum die besten Lernstrategien nicht die einfachsten sind. Carl Hanser Verlag.

    Coelho, P. (1988). Der Alchemist (M. Knapp, Übers.). Diogenes Verlag.

  6. “Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, aber leben muss man es vorwärts” – Søren Kierkegaard
    Mit diesen Worten bringt der dänische Philosoph die Bedeutung von Reflexion auf den Punkt. Dieses Zitat bildet den Rahmen für die folgende Auseinandersetzung mit der Biografiearbeit im pädagogischen Kontext, die den Blick auf die Vergangenheit nutzt, um die Zukunft bewusster zu gestalten.

    Biografiearbeit spielt eine zentrale Rolle im pädagogischen Kontext, da sie den Fokus auf die individuelle Lebensgeschichte und die damit verbundenen Erfahrungen richtet. Sie bietet die Möglichkeit, persönliche vergangene Lernprozesse zu verstehen, bewusst zu reflektieren und zukünftige Handlungspotenziale zu erweitern. Durch das Nachdenken über Wendepunkte in der eigenen Biografie wird deutlich, wie stark Lernen von Emotionen, sozialen Kontexten und individuellen Entwicklungsprozessen geprägt ist.
    Ein zentraler Aspekt dabei ist die Verbindung zur Selbstreflexion. Sie ermöglicht es, Muster im eigenen Denken und Handeln zu erkennen, persönliche Stärken zu identifizieren und sich mit Herausforderungen konstruktiv auseinanderzusetzen. Besonders in der Kindheitspädagogik ist diese Fähigkeit essenziell, da sie hilft, sich selbst im professionellen Handeln kritisch zu hinterfragen und somit bewusster auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen zu können.
    Im Gegensatz zur intuitiven Selbstreflexion, welche ständig stattfindet, basiert die professionelle auf strukturierten Methoden mit dem Ziel Menschen in ihrer Entwicklung zu unterstützen. (Hölzle, 2009)
    Um biografisches Lernen gezielt zu fördern, ist es wichtig, Räume zu schaffen, in denen Reflexion und Austausch ermöglicht werden. Methoden wie Tagebuchschreiben, biografische Interviews oder der Einsatz kreativer Medien können dabei helfen, eigene Erfahrungen zu verarbeiten und daraus Erkenntnisse zu gewinnen. Diese Methoden regen nicht nur zur Selbstreflexion an, sondern fördern auch die Empathie für andere Lebenswege und Perspektiven.
    In meinem beruflichen Kontext als zukünftige Kindheitspädagogin sehe ich die Arbeit mit biografischen Elementen als wertvolles Werkzeug, um Kinder und Familien besser zu verstehen. Gleichzeitig hilft mir die eigene biografische Reflexion, meine Handlungsweisen im pädagogischen Alltag zu hinterfragen und mich kontinuierlich weiterzuentwickeln.
    Ein bedeutender Wendepunkt in meinem Lernprozess war mein Auszug in eine eigene Wohnung zu Beginn des Studiums. Diese Entscheidung markierte einen großen Schritt in Richtung Selbstständigkeit. Anfangs empfand ich die neue Situation als überwältigend. Plötzlich war ich für alles selbst verantwortlich: für meine Finanzen, die Organisation meines Alltags und das Schaffen eines neuen sozialen Netzwerks. Diese Herausforderungen fühlten sich zunächst wie ein großer Berg an, den es zu bewältigen galt. Gleichzeitig verspürte ich aber auch Stolz und Freiheit, mein Leben aktiv gestalten zu können.
    Mit der Zeit lernte ich, meine Aufgaben zu priorisieren und Strukturen zu schaffen, die mir den Alltag erleichterten. Diese Erfahrung hat mich nicht nur organisatorisch gestärkt, sondern auch meine Selbstwahrnehmung verändert: Ich habe erkannt, dass ich in der Lage bin, Herausforderungen zu meistern und an ihnen zu wachsen.
    Um gezielt Lernprozesse anzustoßen, habe ich gelernt, bewusst in Situationen zu gehen, die außerhalb meiner Komfortzone liegen. Dazu gehört beispielsweise, mich in Diskussionen aktiv einzubringen oder Themen zu wählen, die mich herausfordern. Durch Reflexion, kann ich meine Fortschritte dokumentieren und daraus lernen.
    Ein Buch, das einen besonderen Perspektivenwechsel bei mir bewirkt hat, ist „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde. Die Geschichte regte mich dazu an, über Werte, Moral und die Konsequenzen von Entscheidungen nachzudenken. Besonders die Figur Dorian, die äußerlich jung und makellos bleibt, während ihr wahres Ich im Verborgenen verfällt, ließ mich meine eigene Haltung hinterfragen. Welche Prioritäten setze ich in meinem Leben? Welche Konsequenzen können Handlungen oder Unterlassungen für mich und andere haben? Dieses Buch hat mich ermutigt, bewusster zu handeln und die Verantwortung für meine Entscheidungen zu übernehmen.
    Biographisches Lernen und das Lernen an Wendepunkten sind tiefgreifende Prozesse, die uns helfen, uns selbst besser zu verstehen und unsere Perspektiven zu erweitern. Indem wir solche Erfahrungen reflektieren und bewusst nach neuen Herausforderungen suchen, können wir nicht nur uns selbst weiterentwickeln, sondern auch als Pädagog:innen eine offene und unterstützende Lernumgebung schaffen.

    Literatur:
    Herrmann, K. (2021). Spurensuche – Weiterentwicklung durch biografische Selbstreflexion. Nifbe.de. https://www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=979:spurensuche-weiterentwicklung-durch-biografische-selbstreflexion&catid=29

    Hölzle, C., & Jansen, I. (Hrsg.). (2009). Ressourcenorientierte Biografiearbeit: Grundlagen – Zielgruppen – Kreative Methoden (2009. Aufl.). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://link-springer-com.ezproxy2.hsrw.eu/book/10.1007/978-3-531-91725-2

  7. Beim Lesen des Blogartikels musste ich an eine eigene Erfahrung denken, die für mich einen deutlichen Wendepunkt im Lernen markierte. Es war während meines Studiums, als ich das erste Mal mit dem Konzept des biografischen Lernens in Berührung kam. Bis dahin hatte ich Bildung eher als einen linearen Prozess verstanden: Man lernt in der Schule, studiert an der Uni, sammelt Wissen und setzt es dann im Beruf um. Doch als ich mich intensiver mit den Ideen von Jack Mezirow (1978) zur Perspective Transformation beschäftigte, wurde mir bewusst, dass tiefgehendes Lernen oft dann passiert, wenn wir mit etwas völlig Neuem oder Herausforderndem konfrontiert werden, mit etwas, das unsere bisherigen Denkmuster infrage stellt.

    Ein solcher Moment ereignete sich für mich, als ich ein Praktikum machte und mit einem Kind arbeitete, dessen Biografie von schweren familiären Herausforderungen geprägt war. Ich erkannte, dass mein theoretisches Wissen über Förderung und Pädagogik nicht ausreichte, ich musste meine eigene Perspektive erweitern, um zu verstehen, wie dieses Kind die Welt sieht. Genau das beschreibt auch Mezirow: Lernprozesse, die zu einem Perspektivwechsel führen, sind oft mit emotionalen Reaktionen wie Unsicherheit oder sogar Frustration verbunden. Ich fühlte mich zunächst überfordert und hatte das Gefühl, dass all mein Wissen nicht ausreichte. Doch genau hier begann das eigentliche Lernen: Ich hinterfragte meine Herangehensweise, setzte mich intensiver mit Biografiearbeit auseinander und entwickelte ein neues Verständnis davon, was es bedeutet, Kinder individuell zu begleiten.

    Diese Erfahrung zeigt auch, wie sich biografisches Lernen durch Resonanz mit unserer Umwelt entwickelt, wie es Alheit (2022) beschreibt. Unsere bisherigen Erlebnisse und unser Wissen stehen nie isoliert da, sie treten in einen Dialog mit neuen Erfahrungen und formen unsere Perspektiven ständig weiter. Besonders spannend fand ich in diesem Zusammenhang die Idee des situated knowledge von Donna Haraway: Wissen ist nie absolut, sondern immer in einem bestimmten Kontext verankert. Diese Erkenntnis half mir, nicht nur die Lernprozesse von Kindern besser zu verstehen, sondern auch meine eigene Art zu lernen bewusster wahrzunehmen.

    Die Reflexion über Wendepunkte im eigenen Lernen zeigt mir, wie sehr Bildung nicht nur in Klassenzimmern oder Universitäten geschieht, sondern in alltäglichen Begegnungen, die unsere Sicht auf die Welt herausfordern. Diese Erfahrungen können uns verunsichern, aber wenn wir sie zulassen, können sie unser Denken nachhaltig verändern.

    Literatur:

    Alheit, P. (2022). Biographisches Lernen: Die Resonanz zwischen Individuum und Umwelt. Springer VS.

    Haraway, D. (1988). Situated knowledges: The science question in feminism and the privilege of partial perspective. Feminist Studies, 14(3), 575–599. https://doi.org/10.2307/3178066

    Mezirow, J. (1978). Perspective transformation. Adult Education Quarterly, 28(2), 100–110. https://doi.org/10.1177/074171367802800202

  8. Die Biographiearbeit als konkretes Konzept mit verschiedensten Methoden ist mir das erste Mal während meines Studiums begegnet. Davor hatte ich noch keine bewussten Berührungspunkte damit. Sie hat allerdings von Anfang an mein Interesse geweckt. Da wir als angehende Kindheitspädagog*innen Kindern möglichst umfangreiche Bildungsprozesse ermöglichen wollen, ist es wichtig zu verstehen, wie andere Menschen lernen. Dazu dient die Auseinandersetzung mit der eigenen Lerngeschichte als eine wichtige Voraussetzung (Rott et. al., 2021).

    Wenn ich meine eigene Lern- bzw. Bildungsbiographie betrachte, fällt mir schnell auf, dass gerade in formalen Bildungskontexten bei mir das Wichtigste war, dass ich mich wohlfühle. Ein sehr gutes Beispiel bietet dabei meine Studienzeit. Ich habe vor dem Studium der Kindheitspädagogik an der Hochschule Rhein-Waal vier Semester Grundschullehramt an der Bergischen Universität Wuppertal studiert. Dort habe ich mitten in der Coronazeit angefangen und war in eine neue Stadt gezogen, in der ich kein soziales Umfeld hatte und sich durch die reine Onlinelehre auch keines entwickeln konnte. Die meisten Prüfungen habe ich nur so gerade eben bestanden, wenn überhaupt. Ich habe nach zwei Semestern angefangen Vorlesungen fernzubleiben und vieles an Prüfungsleistungen bereits geschoben.

    Durch die Reflexion dieser Zeit war ich mir zu Beginn meiner Zeit an der HSRW dann ziemlich sicher, was ich für ein erfolgreiches Studium brauche, und habe mein Bestes gegeben, mir selbst diese Voraussetzungen zu geben. Dadurch war ich auf den mir bevorstehenden Wendepunkt relativ gut vorbereitet. Das Ganze hat sich dann auch in meinen Lernprozessen im Studium der Kindheitspädagogik widergespiegelt.

    Ich habe während des Studiums viele neue Perspektiven gewinnen können, mein Bewusstsein für bestimmte Probleme, gerade im Zusammenhang mit Diskriminierung, hat sich erweitert. Ich habe großartige Freundschaft geknüpft und Ressourcen dazugewonnen. Der Wendepunkt war für mich so sehr stark spürbar und ich haben ihn gut bewältigt und daraus eine positive Entwicklung gezogen.

    Um Kindern in Zukunft das gleiche zu ermöglichen, halte ich es gerade bei Pädagog*innen, aber auch bei Eltern und Kindern selbst, für besonders wichtig, sich mit der eigenen, aber auch mit der Biographie des jeweils anderen zu beschäftigen. „Die Beschäftigung mit der eigenen Biographie ermöglicht nicht nur einen Rückblick auf das Gewesene, sondern auch einen Zugriff auf die Zukunft“ (Rott et. al., 2021, S.251). Fachkräfte, die sich mit Biographiearbeit auseinandergesetzt haben, können Kindern und Eltern eine bessere Unterstützung bieten. Kinder, die bereits früh Erfahrungen mit Biographiearbeit machen können auf zukünftige Wendepunkte in ihrem Leben besser vorbereitet sein und auch Eltern können so besser vorbereitet sein. Ebenso können Fachkräfte besser auf die Bedürfnisse der Familien in den Institutionen eingehen, wenn sie mit deren Biographie vertraut sind. Ebenso kann eine Kenntnis über die Biographie der Fachkraft für mehr vertrauen bei Eltern und Kindern sorgen. Dabei gilt es Gewisse Grenzen zu wahren, um nicht ein unreguliertes Nähe und Distanz Verhältnis zu schaffen.

    Aus eben diesem Grund ist es wichtig, sich mit den konkreten Methoden der Biographiearbeit vertraut zu machen, denn es gibt einen Unterschied zwischen dem Austausch von Lebensgeschichten und Biographiearbeit.

    Das biographische Lernen ist in Zusammenhang mit einem lebenslangen Lernen zwar unausweichlich, kann und sollte aber aktiv betrieben und gefördert werden, um in einem professionellen Rahmen angewendet werden zu können.

    Rott, D., Gildhaus-Schütz, J., Hochhaus, K. & Fischer, C. (2021). Das eigene Lernen biographisch betrachten. Lernbiographiekurven als Instrument in der Lehrer*innenbildung. Herausforderung Lehrer*innenbildung, 4(1). https://doi.org/10.11576/hlz-4163

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *