Lehrveranstaltungen digital und partizipativ gestalten – ein Best Practice Beispiel mit Erfahrungsinterview

Zu der Lehrveranstaltung „Gender Mainstreaming and Antidiskriminierung“ haben Prof. Dr. Eva Hinterhuber und Marieke Fröhlich im Sommersemester 2021 einen kreativen und interaktiven Raum für alle Teilnehmenden des Kurses eingerichtet.

  • Hierfür nutzen Frau Hinterhuber und Frau Fröhlich einen WordPress-basierten Seminarblog, der es den Studierenden ermöglichte während des Online-Semesters miteinander dialogisch in Kontakt zu treten und sich über Blogeinträge, Kommentare, Gruppenpräsentationen und Live-Videokonferenzen austauschen.

Konzeptionell stand die aktive Teilnahme im Mittelpunkt des Kurses. Zudem war ein weiteres Ziel, dass alle den Kurs und die Inhalte gemeinsam partizipativ gestalten konnten.

  • In dem Template des Seminarblogs hat jede Woche des Semesters einen eigenen Reiter. Dort wurden (Video-)Vorlesungen, zusätzliche Lektüre und andere Inhalte der jeweiligen Sitzung eingestellt.
  • Fragen oder Kommentare zur jeweiligen Vorlesung oder zum Inhalt der Woche konnten direkt über die Kommentarspalte am Ende der Seite gestellt werden. Im Rahmen der Aufgaben wurden auch Reflexionen verfasst und die Reflexionen der Kommiliton*innen kommentiert. Hierfür wurde pro Woche eine Unterseite mit der Überschrift “Reflexionswoche …” eingerichtet.

Der auf Lehr-/Lernprozesse ausgerichtete Seminarblog für Gender Mainstreaming und Antidiskriminierung ist nicht öffentlich, d. h. nur Studierende und Lehrpersonen, die am Kurs beteiligt sind, können ihn bearbeiten und lesen.

Hinweis: Die Einrichtung und Begleitung eines Seminarblogs ist ein Serviceangebot des E-Learning Zentrums. Wenn Sie Interesse haben, auch so einen Seminarblog für Ihre Lehrveranstaltung einzusetzen, nehmen Sie gerne Kontakt mit Birte Heidkamp-Kergel auf (birte.heidkamp-kergel@hochschule-rhein-waal.de).

Zu den Erfahrungen, die Prof. Dr. Hinterhuber und Frau Fröhlich mit dem Seminarblog gesammelt haben, wurde ein Erfahrungsinterview geführt, das Sie nun hier weiterlesen können.

Frage 1: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Seminarblog in Ihrer Lehre einzusetzen?

Hinterhuber/Fröhlich: Im Wintersemester 20/21 entwickelten wir für das Modul „Gender Mainstreaming and Antidiscrimination“ im Studiengang „Gender and Diversity B.A.“ ein neues Kurskonzept. Von Beginn an war klar, dass im Kontext des pandemiebedingten, Online-Semesters Interaktion im Mittelpunkt stehen sollte. Unser Ziel war es, einerseits das größtmögliche Potential für Partizipation, Kommunikation und Austausch zu schaffen, andererseits aber eine asynchrone Teilnahme zu ermöglichen. Wichtig war uns außerdem, dass die Studierenden eigene Inhalte beitragen können und diese Inhalte sehr präsent sind, dass demnach die Kurswebsite ein gemeinsam gestalteter Ort ist.

Im Zuge der Neukonzeption des Moduls lag die Idee nahe, die notwendig gewordene Online-Lehre in einer attraktiven und ästhetisch neuen Art anzubieten und die virtuelle Lernumgebung gemeinsam mit den Studierenden zu gestalten.

Eine wichtige Neuerung war außerdem die inhaltliche und didaktische Orientierung am Konzept der Utopie. Wir gehen davon aus, dass Krisen auch Möglichkeiten für radikale Veränderung bieten, und ließen uns von Wibbens (Wibben et al. 2018) Vorschlag inspirieren, im Lehrkontext den Studierenden nicht nur die Existenz von Missständen, sondern auch real gelebte Utopien nahe zu bringen: Vor diesem Hintergrund konzipierten wir den Kurs mit Hilfe des Kursblogs als interaktiven digitalen Raum für utopische Gedankenexperimente. Dreh- und -Angelpunkt hierfür war der Seminarblog, denn nur durch das interaktive Format und flexible Nutzung des Blogs zusammen mit Online-Live-Sessions, angelehnt an das Konzept der Zukunftswerkstatt, konnte dieses Experiment gelingen. 

Die didaktische und digitale Umsetzung des Kurses in Adaption der Zukunftswerkstatt als interaktiver und kollektiv befüllter Blog kann als ein Versuch gesehen werden, inmitten der dystopischen Realität einer Pandemie und, damit verbunden, isolierender/-n Corona-Lehre/-Lebens einen utopischen Raum zu kreieren.

An dieser Stelle möchten wir uns ausdrücklich bei den Mitarbeitenden des E-Learning-Zentrums für Inspiration, Beratung und Unterstützung bei der technischen Umsetzung bedanken.

Frage 2: Wo sehen Sie die Vorteile des Einsatzes digitaler Medien für diversitätssensible Lehre bzw. was kann durch die digitalen Medien geleistet werden, was ohne deren Einsatz nicht möglich wäre?

Grundsätzlich ist klar, dass uns digitale Medien in der Corona-Krise Lehre überhaupt erst ermöglicht haben, insbesondere aber auch die Möglichkeit eröffnen, interaktive und partizipative Lehrangebote zu machen. Digitale Medien sind hier also eine Conditio sine qua non.

Darüber hinaus erlauben sie auch ein sehr hohes Maß an Abwechslung für Studierende sowie auch für uns Lehrende, was förderlich für den Lern- und Lehrerfolg ist. Außerdem hilft die Vielzahl an Partizipationsmöglichkeiten durch digitale Medien dabei, dass alle Studierenden in ihrer Diversität angesprochen und mitgenommen werden können. Besonders im Kontext der internationalen Studierendenschaft der HSRW kann es sehr schwierig sein, bestehende Unterschiede in Lern- und Lehrkulturen zu überbrücken: Dies ist jedoch wichtig, um allen Studierenden gleiche Chancen auf Studienerfolg zu ermöglichen. Indem unterschiedliche Beteiligungsmöglichkeiten eröffnet werden (asynchron und live), haben Studierende im Vergleich zur Situation im Seminarraum bspw. mehr Zeit und Flexibilität, auf Fragen zu antworten oder sich in eine Diskussion einzubringen.

Hervorzuheben ist auch, dass der Einsatz digitaler Medien große Gestaltungsfreiräume für Studierende ermöglicht. Als Digital Natives spielt die digitale Welt eine sehr wichtige Rolle in ihrem Leben, und meist haben Studierende sehr kreative und innovative Ideen für die Verwendung derselben in ihren Arbeiten. Beispielsweise setzten Studierende in unserem Kurs ihre Gruppenpräsentation im Stil eines Marketingfilms für eine hypothetische Firma um. Eine andere Gruppe nutzte das Videoformat für eine Präsentation als fiktive Talkshow, um einen kritischen Blick auf ihr Thema zu werfen. Beides war mit Hilfe von Video- und Office-Anwendungen möglich; das Ergebnis wurde dann in unseren Seminarblog eingebettet und stand als Download allen Teilnehmenden zur Verfügung. Im Übrigen ermöglichen digitale Medien auch überhaupt die Gruppenarbeit im Kontext von Kontaktbeschränkungen und angesichts der über den Erdball verteilten internationalen Studierenden.

Kreativität und Innovationspotenzial der Studierenden wurden im Rahmen unseres Kurses insbesondere auch durch das Element der Utopie inspiriert; damit war von Anfang an angelegt, sich nicht von dem Bestehenden begrenzen, sondern die Gedanken frei entwickeln zu lassen. Außerdem scheint uns die kreative Nutzung digitaler Medien gerade im Kontext einer auf Zukunft orientierten Lehre unumgänglich. Hier wurden durch unseren inhaltlichen und didaktischen Fokus auf Utopien interessante Synergien geschaffen.

Gleichzeitig erlauben digitale Medien, dass Studierende in den unterschiedlichsten Lebenssituationen studieren können, und sorgen somit für die Inklusivität der Hochschule. Beispielsweise erlaubt die zeitliche Flexibilität durch asynchronen Einsatz der Medien, dass  auch Menschen mit Sorgeverantwortung teilnehmen können. Meist lassen digitale Medien zudem auch barrierefreie Teilnahme an Lehrveranstaltungen zu, zum Beispiel durch Untertitel für Videos, textbasierte Interaktion oder durch die Möglichkeit, die Aneignung von Inhalten an das eigene Lerntempo anzupassen.

Nichtsdestotrotz sollte darauf geachtet werden, dass auch digitale Räume nicht automatisch diskriminierungsfreie Orte sind. Beispielsweise müssen die genannten Maßnahmen zur Barrierefreiheit auch wirklich konsequent eingesetzt werden und Studierende sind zudem hinsichtlich elektronischer Geräte, aber auch in Bezug auf Geschwindigkeiten bei der Internetverbindung unterschiedlich gut ausgestattet, auch die räumliche Situation variiert stark. Hinzu kommt, dass in digitalen Settings mitunter ein besonderes Augenmerk auf respektvollen Umgang und den regelmäßigen Austausch mit Studierenden geachtet werden muss.

Frage 3: Gab es Herausforderungen bei der Implementierung?

Zur Verwendung des Seminarblogs müssen sich die Studierenden bei der ersten Nutzung auf dem E-Learning Portal der Hochschule registrieren und anschließend zum jeweiligen Seminarblog von den E-Learning Mitarbeitenden zugewiesen werden. Das bedeutete einen kleinen Mehraufwand für die Studierenden, für uns als Lehrpersonen und auch für das E-Learning-Center. Letztendlich ist die Registrierung aber tatsächlich ein einfacher Schritt.

Grundsätzlich stellte die Umsetzung des Kurses einen zeitlichen Mehraufwand dar, weil wir uns in die neue Plattform etwas einarbeiten mussten; mit Hilfe des E-Learning-Centers funktionierte es aber sehr gut, den Kurs dann auch problemlos umzusetzen.

Auch für die auftretenden kleineren technischen Probleme konnten mit Hilfe des E-Learning Centers immer gute Lösungen gefunden werden.

Unsere Befürchtungen im Vorfeld, dass der Seminarblog von den Studierenden als zu komplex oder als zu öffentlich wahrgenommen werden könnte, haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil: Die Studierenden waren sehr offen und forderten über die von uns geplante Interaktion hinaus noch mehr Austausch und Veröffentlichung ihrer Arbeiten auf dem Seminarblog.

Frage 4: Welche Rückmeldung haben Sie von den Studierenden zum Seminarblog erhalten?

Die Rückmeldung von Studierenden war überwiegend positiv und sogar enthusiastisch. Der Blog wurde sehr gut angenommen, und es gab keine Kritik an seiner Handhabung und auch keine relevanten technischen Probleme. Die Nutzung des Blogs über Kommentarfunktionen und der Zugang zu eingebetteten Inhalten sind sehr einfach und intuitiv, sodass keine zusätzliche Hilfestellung für Studierende benötigt wurde. Des Weiteren wurden die Ästhetik und die einfachen Interaktionsmöglichkeiten von den Studierenden gelobt. Insbesondere eher stillere Studierende, die sich in Präsenzveranstaltungen weniger beteiligt hatten, schienen das Blogformat willkommen zu heißen und traten stärker mit eigenen Beiträgen in Erscheinung.

Vereinzelt gab es Kritik daran, dass Studierende sich zusätzlich registrieren mussten (jedoch nur bei der ersten Nutzung), und dass Prüfungsleistungen weiterhin auf Moodle eingereicht, also zwei Lernplattformen für den Kurs benutzt werden mussten.

Die Beteiligung, das Engagement der Studierenden und die Ergebnisse des Kurses  sind für uns ein Zeichen, welche Potentiale und Möglichkeiten durch die Orientierung des Moduls am Konzept der Utopie und seiner Umsetzung als Seminarblog eröffnet wurden. Das kollektive Gestalten des Blogs war den Studierenden hier besonders wichtig. So forderten sie beispielsweise ein, dass auch ihre eigenen schriftlich festgehaltenen Utopien, die als Prüfungsleistung zuerst nur für uns Lehrpersonen sichtbar waren, auf freiwilliger Basis über den Blog geteilt werden sollten. Selbstverständlich haben wir dies umgesetzt. Daran zeigt sich, wie der Blog kollaboratives Lernen und Arbeiten möglich machte und förderte.

Frage 5: Wo sehen Sie zukünftige Potenziale für den Einsatz von E-Learning in der Lehre?

Großes Potential vom Einsatz von E-Learning liegt klar in der erhöhten Flexibilität für Studierende und der damit verbundenen erweiterten Zugänglichkeit der Hochschule.

Außerdem können innovative Lehr- und Lernprojekte durch die Nutzung von E-Learning umgesetzt werden. Denn in einer zunehmend digitalisierten Welt ist es unumgänglich, auch im Hochschulkontext auf neue digitale Formate zu setzen. Die Corona-Situation hat uns hier einen plötzlichen Entwicklungsschub beschert, der nun im Anschluss an die Distanzlehre ausgebaut werden sollte. Hier wird klar, dass Krisen (wie oben erwähnt) auch immer Chancen sein können. Um dieses Potential auch auszuschöpfen, bedarf es geeigneter Werkzeuge: E-Learning an sich und Instrumente wie der Seminarblog im Besonderen können als ein solches Werkzeug angesehen werden. Sie schaffen neue didaktische Räume, ermöglichen das Zusammenkommen auch über Entfernung hinweg, bergen die Chance für innovative Kollaborationsformen und damit zur inhaltlichen (Neu-)Gestaltung von Lehre. 

Aus unserer Sicht muss ein kompetenter und geschulter Umgang mit digitalen Medien auch Teil einer Ausbildung sein, Hochschulen haben hier einen wichtigen Auftrag.

Frage 6: Welchen Rat würden Sie anderen Lehrenden geben, wenn diese vorhaben, digitale Medien in ihre Lehre einzubinden.

Unser wichtigster Rat an andere Lehrende ist: nur Mut zur Nutzung von digitalen Medien, neuen Lehrmethoden oder didaktischen Ansätzen! Die schiere Bandbreite der Möglichkeiten von digitalen Medien kann durchaus abschreckend oder überfordernd wirken, insbesondere angesichts der hohen Arbeitsbelastung in der akademischen Welt. Doch digitale Medien in der Lehre haben großes Potential, die Lehre für Studierende, aber auch für Lehrende zu bereichern.

Außerdem möchten wir ermutigen, verfügbare Unterstützungsangebote von Spezialist*innen zu nutzen, allem voran vom E-Learning -Zentrum. Hier auch noch einmal ein herzlicher Dank für die kompetente und hilfreiche Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden des Zentrums an der HSRW, besonders an Birte Heidkamp-Kergel und Boris Herve Foko-Kamdem!

Der Erfahrungsaustausch mit anderen Lehrenden, die schon digitale Lehrangebote durchgeführt haben, ist meist auch sehr hilfreich. Dies kann Ideen generieren, Möglichkeiten abstecken und auch etwaigen Problemen vorbeugen. Es muss schließlich nicht immer das Rad neu erfunden werden, durch Austausch können Synergien geschaffen und Ideen geteilt werden.

Des Weiteren war es in unserem Kurs sehr hilfreich, in kontinuierlichem Austausch mit den Studierenden zu stehen und einen transparenten Umgang und eine ebensolche Umsetzung der neuen digitalen Lernformate zu pflegen. Insbesondere bei neuen, auch für Studierenden unbekannten Plattformen, Methoden oder Ansätzen erscheint es wichtig, die Lernenden „abzuholen“ und mitzunehmen.

Literatur:

Wibben, A., Confortini, C. C., Roohi, S., Aharoni, S., Vastapuu, L. & Vaittinen, T. (2019). Collective Discussion: Piecing-Up Feminist Peace Research. International Political Sociology 13(1), 86–107.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Skip to content